Nabenspeiche Freiheit

Dies ist ein Kern. Ein dunkler Punkt im Zentrum einer Landschaft. Landschaft, die sich selbst bestimmt. Magisch-poetische Polis wird sie sein, magisch-poetische Gesellschaft tauften wir sie. Kultur in Gründung. Eine partikulare Kultur, die ausstrahlen will, aber nicht einnehmen, die einwirken will, aber nicht predigen. Nicht bereit und nicht willens, mehr Gebiet zu beanspruchen als das derjenigen, die sich um ihren Kern scharen. Aber bereit und willens, die Topographie der Welt mit neuen Gemarkungen zu versehen.

In seines Nabels engem Becher war / das ganze Dunkel dieses hellen Lebens

Wie jede Polis gründet sie sich auf Freundschaft und den gemeinsamen Willen, ein Leben in Freiheit und Schönheit zu pflegen. Ohne Freundschaft möchte niemand von uns leben, hätte sie auch alle anderen Güter. Wie ließe sich das Glück ohne Freunde hüten und wahren? In Not und im Reich der Notwendigkeit sind die Freunde die wertvollste Zuflucht. Und im Reich der Freiheit den handelnden Menschen Förderung zu jeder vortrefflichen Tat. Nur in Freundschaft ist die Anstrengung möglich, jenes gemeinsame Gut zu pflegen, das nicht nur auf den Nutzen des Augenblicks abzielt, sondern wie unsere Polis das gesamte Leben umfasst und uns Freiheit und Schönheit bringt.

Freiheit und Schönheit sind, wonach wir uns am meisten sehnen. Sie sind Ausdruck unseres tiefen Strebens nach Glück.

Trinitas Libertas

Die Freiheit beginnt, wo wir der Freude am Vortrefflichen, am Außerordentlichen Raum geben können, jenseits dem Abmühen mit schlichten Lebens- und Überlebensnotwendigkeiten. Sie keimt dort, wo sich der Mut entfalten kann, jene Abenteuer zu unternehmen, die als Möglichkeit hinter unseren Alltagsleben hervorschimmern. Freiheit geht einher mit der Freude am Schönen: Sie reizt uns zu Herausforderungen, die das Herz aufgeregt schlagen lassen und uns die Röte ins Gesicht treiben.

Schönheit aber ist der einzig mögliche Ausdruck der Freiheit in der Erscheinung.

Das, was vortrefflich ist, wird dies nur durch das Urteil von Gleichgestellten. Was auch immer besondere Nöte im Reich der Notwendigkeiten sind, nichts davon darf im Reich der Freiheit den Freunden ihren Rang absprechen. Denn sie sind die einzigen, mit denen wir einen öffentlichen Raum schaffen können, in dem wir als Gleiche unter Gleichen unsere Vortrefflichkeit wechselseitig anerkennen können und in dem keine Form der Abhängigkeit das Urteil am Vortrefflichen korrumpiert. Das, was vortrefflich ist, entsteht nur durch Freunde. Sie sind verlässliche Weggefährten, mit denen wir das Wagnis eingehen können, durch selbstbestimmtes Handeln Hervorragendes durch Rede und Tat zu erschaffen.

Die hier vorgestellte Freiheit ist also mehr als Unabhängigkeit von Zwängen und die hier vorgestellte Politik anderes als die demokratisch geregelte Auseinandersetzung zwischen Interessengruppen. Frei ist nicht bereits der, der frei ist von Ungleichheit, die allen Herrschaftsverhältnissen innewohnt. Freiheit eröffnet sich, wo wir uns in Freundschaft um das Edle kümmern können und das unserem gemeinsamen Leben innewohnende Vortreffliche im Blick haben.

Vortrefflichkeit ist nicht erzwingbar. Eine Tat, zu der wir erpresst werden, qualifiziert uns niemals als edel. Tugendterror ist der Gegner jeder Freiheit zum Außenordentlichen. Vortrefflich sein kann nur der, der für die anderen nicht beliebig verfügbar ist. Diese Nichtverfügbarkeit, die auch unter Freunden gilt, zielt nicht nur auf unser Handeln, sondern ebenso auf unser Planen, Fühlen, Denken und Streben. Nur dort kann wirklich Herausragendes geschaffen werden, wo das nicht fassbare Zentrum eines Menschen geachtet wird, das der Ursprung jedes Abenteuers und jedes schöpferischen Aktes ist. Hier liegt der Nullpunkt jeden Handelns, ein Ort, mehr noch: der Ort des sozialen Nichts, der die Grenze der Vorhersagbarkeit markiert, und zugleich Handeln erst möglich macht, indem er immer wieder Neues anstößt. Er kennzeichnet uns als magische Wesen, die alle durch ihr unentschlüsselbares Geheimnis dem Durchschnittlichen enthoben sind. Nicht steuerbar, nicht prognostizierbar.

Der öffentliche Raum der magisch-poetischen Polis, die magisch-poetische Politik selbst, ist dem Nicht-Durchschnittlichen vorbehalten. In seiner Ordnung kann eine jede sich zeigen, wodurch sie über das Durchschnittliche hinausragt. Sichtbarkeit ist sein Modus operandi. Sichtbarkeit, aber nicht Transparenz. Letztere ist eine der größten Feinde der Freiheit, denn eine Kultur, die alles sichtbar macht, die jegliches Verhalten offenlegt, die permanente Selbstentblößung und das intime Geständnis als Dauerzustand öffentlicher und privater Selbstvergewisserung verlangt, schafft eine Herrschaft des Lichts, die das Geheimnis eliminieren will und das Leben in Reih und Glied bringt. Wer jeden Winkel ausleuchtet, hat Angst vor dem Unvorhersehbaren und strebt nach der totalen und – da wir auf Gemeinschaft angewiesene Wesen sind – wechselseitigen Kontrolle. Seit mehr als zwei Jahrhunderten haben sich die modernen Menschen an einen umfassenden Imperativ gewöhnt, der den Behörden, der Wirtschaft, der Wissenschaft und den Revoluzzern aufträgt, alles Sterben und Leben, Verhalten und Agieren zum Wohle einer gesunden Gesellschaft in den Griff zu bekommen. Die von ihnen angewendete politökonomische und psychosoziale Technologie des Lebens schafft eine Vollkasko-Kultur der Sicherheitsverwahrung, die jedes Risiko der Taten auszuschalten versucht. In letzter Konsequenz ist in ihr der Mensch selbst als unberechenbar handelnde Person das einzudämmende Übel, interessiert sie sich für ihn nur als zu verwaltende Sache, jeweils verfügbar für die eigene Planung und Zielsetzung. Wenn jedoch unser Miteinander durch Freundschaft gekennzeichnet ist, dann ist der Respekt vor der Unberechenbarkeit und dem Rätsel, das in jeder Person liegt, unabdingbar.

Leben braucht Dunkelheit als Existenzvoraussetzung. Den Rhythmus zwischen Licht und Dunkel in Exekution einer umfassenden Auf-klärungsmission auszulöschen macht aus dem Leben eine Legebatterie, in dem letztendlich alles domestizierbar wird. Man kann die Existenz des dunklen Zentrums aller Dinge verleugnen, indem man sein Gespür dafür durch ein seichtes Leben betäubt oder es mit Ideologie zukleistert, man kann sie auch verleugnen, indem man sie durch die geschwätzige Lust an der Bewußtwerdung oder Erleuchtung analysieren möchte. Hilflose Versuche das subtile Grauen des Unberechenbaren und Uneinsehbaren durch Aufklärung in den Griff zu bekommen. Oder: man tritt dem dunklen Kern seiner selbst und anderer handelnd gegenüber und erweist dem unverfügbaren Eigenleben dieser letztendlich rätselhaften Personalität seinen Respekt.

Dieses Handeln kann selbst als ein edles betrachtet werden und es aktualisiert sich in herausragender Weise in einer weiteren Dimension der Freiheit, die man als die nächtliche Schwester der Vortrefflichkeit bezeichnen kann: die orgia. Wer die erste Schwester der Freiheit, die Vortrefflichkeit liebt, tut gut daran, sich auch mit der zweiten einzulassen. Das Leben in Freiheit ist bigam.

Denn eine ihrer tiefsten Selbstbestätigungen erhält die Freiheit durch die Zeit zwischen den Zeiten und in letzterer wiederum durch die orgia. In der Zeit zwischen den Zeiten halten wir die Welt an und schieben uns in die andere Aufmerksamkeit. Die orgia ist also jenes radikale Heraustreten aus der Ordnung, in dem sich unsere Spontaneität, Kreativität und Vorstellungskraft eine Gegenordnung schafft, die mehr als nur Ventil unerlöster Begierden, Freiheit von Herrschaft oder strukturell notwendige Negation ist: Indem wir Menschen in der orgia aus der Ordnung aussteigen, geben wir dem Nullpunkt unseres Handelns einen sichtbaren Ausdruck. Die orgia kann als der vornehmste Ausdruck des dunklen Kerns verstanden werden und als eine Handlung in tiefem Respekt vor ihm. In ihr treten wir in ein Spiel mit ihm ein.

Zugemessen ward dem Licht seine Zeit; aber zeitlos und raumlos ist die Nacht.

Es ist gesagt worden, daß alle Ordnung ein Gegengewicht brauche, daß sie in ihrer Aufhebung, ihrer Negation, ihrer absoluten Verdunkelung versinken müsse, andernfalls drohe den Menschen Starrheit des Lebens, Verflachung und Blindheit. Um bei Verstand zu bleiben, um die eigene Zivilisation zu verstehen, müsse man von Zeit von Zeit in die Wildnis. Würden wir dieser nicht ins Gesicht sehen, dann hämmerten ihre Geister irgendwann nachts an die Kellertür und hockten schließlich auf dem Nachttisch. Das mag sein – und dennoch ist die orgia keine Instrument zur Sozial- und Psychohygiene wie graugesichtige Kulturtheoretiker von ihren Schreibtischen aus verkünden mögen.

Die orgia ist keine Therapiegelegenheit zur Steuerung menschlicher Umtriebe. Sie erfüllt keine Funktion aus dem Puppenhaus der menschlichen Allerweltsanliegen. Sie mag sicher eine Vielzahl an Vorzügen aufweisen und durch Atemlosigkeit das Atmen befreien: den Menschen die Wahrnehmung erweitern, ihnen einen tieferes Verständnis des Lebens vermitteln und ihren Augen Glanz verleihen. Sie mag das Vertrauen der Menschen und ihre Freundschaft zueinander vertiefen und Zutrauen in und Empfindsamkeit für den Hauch der Welt schaffen. Doch wie jedes andere wahrhafte Handeln auch, liegt ihr Zweck nicht in solchen Effekten.

Der Zweck liegt ebenso wenig in dem Erlebnis als solchem, wie uns die Sales Agents und Therapeuten des Erlebnisbusiness weißmachen wollen, denn paradoxerweise führt diese Art der Konzentration auf das „pure Erlebnis“ zur Erlebnisverarmung. Kaum etwas kann die Leere und Ödnis der industriell verfügbar gemachten, orgiastischen Sinnesfreuden deutlicher machen als der abgegriffene Jargon, mit dem man den Zugang zu Grenzerfahrungen gleich dem Besuch einer Shopping Mall oder eines Vergnügungspark anpreist. Die Absicht der orgia liegt jenseits der Befriedigung und Erfüllung ihrer Teilnehmer und deshalb ist die Teilnahme an ihr weder „voll cool“ noch ein Workshop, um das „eigene Potential kennenzulernen“.

In der orgia treten wir vielmehr in ein Spiel mit dem dunklen Kern ein, sie ist der vornehmste Ausdruck einer Anerkennung dieses Kerns und eine Handlung in tiefen Respekt vor ihm. Und nur deshalb liegt ihr seit jeher die Fähigkeit inne, den Atem der Götter einzufangen, die Grenzen zwischen den Toten und den Lebenden, zwischen denen im Berg und denen unter der Sonne, zu verwischen.

Wie jedes Spiel, verlangt auch dieses einen Rahmen, innerhalb dessen wir handeln, eine Mischung aus Form und Variation, aus Kreativität und Zeremonie. Die orgia ist kein Universum des Chaos, sie ist nicht Unordnung, sondern Gegenordnung. Sie bedarf also der Kunstfertigkeit von Begrenzungen, von Mauern, die einen geschützten Raum erst ermöglichen. (Auch darin ähnelt sie ihrer Schwester, der Freiheit der Vortrefflichkeit.) Um das Spiel der Dunkelheit zu ermöglichen, sind Umsichtigkeit, Klarheit, Strenge und eine eindeutige Festlegung, was das Spieleende markiert, notwendig.

Die orgia steht also niemals im Dienst einer starren Schale des Lebens, als ob sie gleichsam nur eine Auslauffläche im Zoo des Lebens, ein Hamsterrad, zum abreagieren wäre. Nicht nur ihr Zweck geht darüber hinaus. Die absolute Loslösung der orgia führt in ihrer Praxis zu einer Gelöstheit: Wer einmal seine Brust geöffnet hat, dem bleibt sie für lange Zeit gelöst.

Guidé par son odeur vers de charmants climats, c’est elle qui commande aux moissons de croître et de mûrir dans le coeur immortel qui toujours veut fleurir

Die Freiheit beginnt mit der Möglichkeit zum Vortrefflichen. Die orgia, als Feier und Selbstvergewisserung der Freiheit, markiert ihr äußerstes Ende. Ihre eigentliche Mitte ist die Gelöstheit: Damit ist jener Zustand gemeint, in dem sich Freiheit im Alltag ausdrückt, in jenem Lebensbereich, der vom Durchschnittlichen, vom Nicht-Herausragenden bestimmt ist. Gelöstheit ist Tonus eines Lebens, das sich im Gehen und Lachen ebenso zeigt, wie in der Offenheit, mit der ein Blick der Welt begegnet: entwaffnet und entwaffnend. Unmerklich eindringlich wirkt durch ihre Präsenz eine Botschaft: Daß das Wort „Freiheit“ die natürliche Übersetzung dessen ist, was die Alten Glückseligkeit nannten.

Im Alltag, diesem ruhigen Fluß des Lebens Tag für Tag, sind jene herausragenden Momente eingebettet, in denen wir Vortrefflichkeit aktualisieren. Er ist die Vorbedingung, aus dem die Größe, das Besondere entsteht. Er kann nur dort seine Freiheit bewahren, wo die Vortrefflichkeit nicht selbst zum Zwang wird. Wer durch die Politik das Vortreffliche erzwingen will, der macht der Gelöstheit den Garaus.

Zugleich ist der Alltag vielfältig mit dem Reich der Notwendigkeit, mit dem Wirtschaften, Arbeiten, Herstellen, Ernähren und sich Schützen verknüpft. Hier gibt es Zwänge, um die wir nicht umhinkommen, denen wir uns nur begrenzt entziehen können. Aber wenn Freiheit und Schönheit dasjenige ist, weshalb wir in einer gemeinsamen Ordnung zusammenleben, warum sollte über Gebühr die einzelne dem Reich der Notwendigkeit und seinen stummen Zwängen ausgeliefert sein? So wie einerseits unser Streben nach und unsere Freude an Vortrefflichkeit nicht die dem Alltag innewohnende Freiheit beeinträchtigen dürfen, sollten andererseits die Anforderungen der Ökonomie die Gelöstheit nur soweit beeinträchtigen, wie es die von Menschen nicht veränderbaren Lebensverhältnisse vorgeben.

Wollen wir diesen Zwängen wirksam begegnen, so bedarf es einer gemeinsamen Sorge umeinander, die in praktischer Klugheit die Lage der Starken und der Schwachen im Blick hat. Das verlangt von uns, daß wir unsere eigene Belastbarkeit ebenso wie die Stärke von anderen, deren Lasten wir vermuten oder denen wir einen Teil der eigenen Last aufbürden möchten, aufmerksam und richtig einzuschätzen. Als erste Richtschnur für unsere Sorge umeinander gilt dann für diejenigen unter uns, die am abhängigsten und bedürftigsten sind, daß jede von ihnen sich nach ihren Fähigkeiten an der Bewältigung der Lebensnotwendigkeiten beteiligt, aber jeder nach ihren Bedürfnissen geholfen wird. Anders bei denjenigen, die als unabhängige Mitglieder dieser Gemeinschaft ihr Leben selbstständig führen können. Hier wird unsere Wahrnehmung erst einmal von der strengeren Maxime geprägt sein, daß jede nach ihrer Leistung zur Bewältigung der Lebensnotwendigkeiten behandelt wird. Beide Maximen gelten nur vorläufig, denn unsere Wahrnehmung bei der praktischen Gestaltung eines Lebens in Freiheit muß sich an den komplizierten Belangen des Lebens orientieren. Eine knappe Ausstattung mit wirtschaftlichen Gütern läßt es oft nicht zu, allen Bedürftigen gerecht zu werden. Und da wir als komplexe Wesen zu unserer Entfaltung wesentlich mehr als nur des Brots bedürfen, können wir die Sprache und die Bedürfnisse des Herzens nicht ignorieren: Güte und Großherzigkeit setzen das Leistungsprinzip oft außer Kraft.

Die Sorge umeinander verlangt zudem die Möglichkeit, über Sorge und Nöten zu kommunizieren als auch die Fertigkeit, dies angemessen zu tun. Mit letzterem ist die Fähigkeit zur taktvollen, aktiven und eindeutigen Mitteilung gemeint: sowohl bei den Notleidenden, die anderen gegenüber ihr Bedürfnis nach Unterstützung artikulieren, als auch bei den Erfolgreichen, die Hilfsbedürftigkeit ermitteln und anbieten. Was die Möglichkeit betrifft, über Sorgen und Nöte offen zu kommunizieren, so verfügen wir im Alltag, unabhängig von der politischen Öffentlichkeit, über einen eigenen Raum der Verhandlung, der gewöhnlich als verachtenswerte Lästigkeit, bestenfalls als nutzloser Tand abgetan wird: Den Tratsch.

Der Wert des Gesprächs über andere, obwohl alltäglich und niemals aus dem Miteinander-Leben ausrottbar, wird oft unterschätzt. Gelöstheit ist ohne Tratsch nicht zu denken, denn der Tratsch entsteht aus der Sorge um die andere. Das warme Licht der alltäglichen Kommunikation über andere löst unbekannte Nöte aus ihrem Schatten. Der Fluß der Kommunikation sorgt für jenes Sich-Kümmern, das diejenige auffängt, die Unterstützung, Liebe oder einfach nur der Hinwendung bedarf, und er regelt das, was schnell und ohne viel Aufsehen gelöst werden kann. Abgesehen von dieser Funktion als Schmiermittel zur Bewältigung menschlicher Notlagen ist der Tratsch darüber hinaus ein wichtiges Mittel, um unsere Wahrnehmung tagtäglich zu trainieren, wie es um die soziale Ökologie und das, was die einzelne zu einem glücklichen Leben braucht, bestellt ist.

Den Wert des Tratsches zu betonen heißt jedoch nicht, dass wir die Zwänge der wirtschaftlichen Notwendigkeit ins private abschieben wollen. Denn die Eindringlichkeit und Unerbittlichkeit einiger Zwänge kann nur durch gemeinsame Anstrengung begegnet werden. Einige Entscheidungen, was uns beeinträchtigen darf und was nicht, und einige Entscheidungen, wie wir für uns alle Lebensvorteile und Erleichterung erschaffen, verlangen zu ihrer Umsetzung ein derartiges Maß an Kraft und Macht, welches nur in Kooperation aufgebracht werden kann und deshalb eine ganz besondere Gelegenheit der Vortrefflichkeit und eine besondere Aufgabe der Politik ist. Es sind damit Herausforderungen, in denen die Freiheit zur Vortrefflichkeit sich um ihre eigene Möglichkeit kümmert. Denn nicht nur die Gelöstheit verlangt, daß die stummen Zwänge eingegrenzt werden, auch die Vortrefflichkeit verlangt dies. Wenn ein Mensch nicht die Möglichkeiten hat, bestimme Fähigkeiten zu entwickeln, dann wird er niemals jene Vortrefflichkeiten an den Tag legen können, die jene bestimmten Fähigkeiten zur Voraussetzung haben. Einige Fähigkeiten sind dabei so grundlegender Art, daß ihr Fehlen in vielen Bereichen die Möglichkeit zur Vortrefflichkeit beeinträchtigt oder sogar ausschließt.(1) Weil Politik jenes Streben nach Vortrefflichkeit ausdrückt, ist es ihre ureigenste Aufgabe, sich auch um jene Lebensgrundlagen zu kümmern, die Vortrefflichkeit überhaupt ermöglichen und dieses selbst wiederum auf vortreffliche Weise.

Unsere Polis verspricht sich der Freiheit. Doch die besteht nicht nur aus Hehrem oder Ekstatischem. Wer der Freiheit sein Wort gibt, der gibt es auch dem Leichten, dem Liebreiz des Lebens, der Gelöstheit – mit allen Konsequenzen: sich ganz auf sie einlassen, für sie sorgen, für sie einstehen. Das Leben in Freiheit ist polygam.

(1) Dazu gehören nicht nur solch grundlegenden und von vielen anerkannten Fähigkeiten wie jene zu leben und nicht vorzeitig zu sterben, die Fähigkeit sich guter Gesundheit zu erfreuen, eine angemessene Unterkunft zu haben, sich bewegen zu können, unnötigen Schmerz zu vermeiden, alle seine Sinne benutzen zu können, eine breite Spanne an unterschiedlichen Gefühlen empfinden zu können oder in einer Gemeinschaft mit anderen Menschen zu leben. Sondern dazu gehört z.B. auch die Fähigkeit freudvolle Erlebnisse zu haben und zu lachen, zu spielen, kreativ zu sein, zu lieben, für andere, bezogen auf und in Verbundenheit mit anderen Menschen, Tieren, Pflanzen zu leben, Möglichkeiten zur sexuellen Befriedigung zu haben, sein eigenes Leben in einem selbstgewählten Kontext und selbstgewählter Umgebung zu leben und die Fähigkeit, sich eine Vorstellung davon zu machen, was man selbst als ein gutes und glückliches Leben empfindet und kritisch über die eigene Lebensplanung nachzudenken.